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Anders sein

Dissens in der Sowjetunion

Bin ich anders?

Mindestens einmal im Leben stellt man sich diese Frage. Manche Menschen haben das Gefühl anders zu sein. Manche werden von anderen als anders markiert. „Anders sein“ – das kann eine eigene Entscheidung sein oder eine Zuschreibung aufgrund von physischen, religiösen, sexuellen, ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder politischen Merkmalen. Dass jede Person „ohne Angst verschieden sein kann“ (Theodor Adorno), begreift man in einer demokratischen Gesellschaft als Wert, der zwar immer wieder eingefordert, aber auch immer wieder verteidigt werden muss.

Anders sein in einem autoritären Staat

Was aber passiert, wenn der Staat diesen Wert nicht verteidigt und schützt, sondern selbst die Menschenrechte verletzt? Was passiert, wenn der Staat die Interessen der vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft verteidigt und die der angeblichen Minderheiten mit Füßen tritt? Was bedeutet es, wenn Menschen aufgrund ihrer Andersartigkeit aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sozial oder räumlich isoliert, verhaftet, ins Lager oder in die Psychiatrie gesteckt oder gar ermordet werden?

All dies ist Andersdenkenden in der Sowjetunion passiert. Viele wurden zu Opfern. Viele versuchten einen geschützten, oft halblegalen Raum innerhalb der Gesellschaft zu schaffen, in dem sie unauffällig sie selbst sein konnten. Für manche war die einzige Lösung: der Widerstand und der Kampf für die eigenen Rechte und die Rechte der Anderen. Manche wurden vor die „Wahl“ gestellt: Exil oder Lagerhaft. Anderen entzog der Staat einfach die Staatsbürgerschaft, während sie sich im Ausland aufhielten. Viele aber sahen sich gar nicht im Widerspruch zur Regierung. Dennoch wurden sie aufgrund kritischer Äußerungen gebrandmarkt, verfolgt und kriminalisiert – zu „Anderen“ gemacht.

„Protestieren oder schweigen“

Vieles deutet darauf hin, dass das Handeln von Andersdenkenden in der Sowjetunion nicht allein mit ihrem sozialen, kulturellen oder politischen Hintergrund zu erklären ist. Vielen von ihnen ging es um ein spezifisches Verständnis von Menschenwürde und einen „sozialen Instinkt“, der am Beginn ihres Widerstandes stand. Larissa Bogoras, eine der sieben Teilnehmer∙innen, die am 25. August 1968  auf dem Roten Platz gegen die militärische Niederschlagung des Prager Frühlings demonstrierten, erklärte es so: „Ich stand vor der Wahl: Protestieren oder Schweigen … (Zu) Schweigen hieß für mich (zu) lügen … Dass es meine Ja-Stimme nicht gibt, war für mich zu wenig. Für mich war wichtig, dass es meine Nein-Stimme gibt“. „Schweigen ist Lüge“ war für viele ein Imperativ: Es galt, dem System der Unterdrückung und der Angst vor der Allmacht des Staates zu trotzen.

Anders sein – ein Special

Im Special Anders sein – Dissens in der Sowjetunion geht dekoder einem der spannendsten Kapitel der sowjetischen Geschichte nach: den lauten und leisen Akten des Widerstands gegen den autoritären Staat. Es beleuchtet verschiedene Versuche, aus Kultur und Gesellschaft heraus einen politischen Wandel einzuleiten. Oder aber kulturelle Veränderung zu erwirken. Es erzählt die unterschiedlichen Geschichten von Andersdenkenden und zeigt den historischen Kontext und die Folgen des Dissens in der Sowjetunion.